VfL beim CL-Finale

Wenn man sich schon nicht selbst qualifiziert, sollte man wenigstens denen, die es besser gemacht haben, die Ehre erweisen … getreu diesem Motto haben sich am Sonntag 5 VfLer auf den Weg zum 2. Championsleague-Finale Gönnern – Charleroi gemacht.
Der Hinweg zur Frankfurter Ballsporthalle in Höchst mit der Bahn gestaltete sich als etwas problematisch, da zum einen orange-violett gedresste Pfeifenköppe den Weg belagerten und zum anderen unser Navigationssystem aus Erdmagnetfeld und Sextanten zielgenau versagte und wir zunächst die ein Stück entfernte Jahrhunderthalle anpeilten und umrundeten, bevor wir doch noch ans Ziel gelangten, dort aber sofort sämtliche Trinkflaschen vom Wachpersontal gerippt bekamen. Drinnen zunächst Enttäuschung, hatten doch die engagierten Appelle des HTTV nicht gefruchtet und sich die Halle nur zu gut der Hälfte gefüllt.

Timo Boll trug auch nicht stark zur Aufmunterung bei, hatte er doch gegen Ex-Angstgegner Smirnov in der Anfangsphase große koordinative Probleme im Aufschlag-Rückschlag-Spiel und im Kurz-Kurz-Spiel. Wenngleich der Russe dem Timo durch seltsame VHEröffnungstopspinfehler neben (!) die Platte immer wieder die Gelegenheit gab, dran zu bleiben, kann man die Vorstellung der NR. 2 der Welt nur als müde bezeichnen. So lag denn unser Freund folgerichtig im fünften Satz mit 7:9 hinten. Dann aber das Husarenstück: Nach einem „Timo-out“ gab er keinen Punkt mehr ab und gewann das schon verloren geglaubte Spiel noch.

Vor dem zweiten Einzel „Bobo“ Grujic gegen Samsonov wurden Erinnerungen wach, hatte doch der Ex-Milosevic-Gefolgsmann vor genau einem Jahr mit seinem Block-und-Prügel-Spiel den aktuellen Lukaschenko-Gefolgsmann zu einem hilflosen Schulterzucken und seinen Verein entscheidend in Führung gebracht. Und „Bobo“ legte auch gleich los wie die Feuerwehr und entschied den ersten Satz für sich. Als Samsonov in den folgenden Sätzen aber variabler und weit auf die Ecken eröffnete, schien das Spiel zu kippen. Doch Bobo kam im vierten Satz wieder. Im fünften Satz spielte er sich mal wieder in einen Prügel-Rausch rein, führte mit etwa 8:3 und brachte die Halle zum Toben. Samsonov wartete nun mit einer taktischen Meisterleistung auf und stellte sein Spiel auf Rückhandaufschläge aus der Mitte in die Vorhand von Bobo um und sicherte sich damit mehrere Punkte. Trotz voller Hosen konnte Bobo seinen Vorsprung knapp halten und erhöhte zum vielumjubelten 2:0.

Die Stimmung bei den Zuschauern war nun umgeschlagen: „Wir haben die Sache sicher!“ tönte es jetzt aus allen Kehlen. Und als im Duell der beiden 36-jährigen Mr. Tischtennis „Rossi“ Roßkopf den „Jean-Mi“ Saive im ersten Satz 11:3 vorführte, glaubten alle an ein vorzeitiges Ende. Doch wir hatten die Rechnung ohne die Kampfkraft des Belgiers gemacht. Bis in die Haarspitzen motiviert, zeigte er „Rossi“ in den folgenden Sätzen vor allem bei langen Topspinduellen immer wieder seine Grenz(au)en auf und entschied die Partie mit 3:1 für die König-Karl-Treuen.

„Naja, der Timo wird es gegen Samsonov schon richten!“ hieß es jetzt auf den fachkundigen Rängen. Aber hatte dieser Timo gegen ebendiesen „Vladi“ nicht erst vor einer Woche eine schmerzliche Niederlage im Hinspiel einstecken müssen trotz 5:1-Führung im Entscheidungssatz? Und was war mit den Gerüchten um Timos neuerliche Rückenschmerzen? Unsicherheit allenthalben. Und der Timo leistete diesen Gerüchten im ersten Satz auch kräftige Nahrung. Saft- und kraftlos hatte er einem resolut mit für ihn untypischen Selbstanfeuerungen auftretenden Vladi im ersten Satz nichts entgegenzusetzen und unterlag 7:11. In der Folge ein ähnliches Bild, aber irgendwie schaffte es der Timo, sich ab Mitte des Satzes abzusetzen und diesen für sich zu entscheiden. 1:1 im Duell der besten Spieler Europas. Der dritte Satz begann ähnlich: ausgeglichen, aber schwach. Die Gegner tasteten sich noch immer ab. Die Ruhe vor dem Sturm. 6:6. Plötzlich das Fanal: Ein Riesen-Topspin-Duell über ca. 15 Schläge je Seite beendete das Klein-Klein-Spiel, weckte die Laufbereitschaft unseres Helden und ließ bis zum Spielende hochklassiges Tischtennis folgen. Die Zuschauer wachten auf und machten die Arena zum Tollhaus. Timo führte mit 10:7, schwächelte dann, konnte den dritten Satz aber noch mit 12:10 für sich entscheiden. Der vierte Satz. Taktikmeister „Vladi“ schlug mal wieder zu: In Anbetracht dessen, dass Timo jetzt bei langen Topspinduellen seine athletischen Vorteile ausspielte, verlegte er sich aufs Prügeln und konnte so gleich mit 4:1 davonziehen. In der Folge musste er aber auch Konsequenzen dieses Risikospiels tragen und machte dabei einige Fehler. Timo-Topspin auf Vladi-Prügel, so die einfache Formel für einen mitreißenden vierten Satz zweier ebenbürtiger Virtuosen. Und alles mit einem Happy-End. Bereits den ersten Matchball verwandelte Timo, brauchte aber sichtlich Zeit zum Realisieren und wurde in diesen paar Sekunden zuerst von seinen Mannschaftskameraden und dann von Hunderten jubelnder Fans zu Boden gerissen. Auf der Gegenseite ein weißrussisches Häuflein Elend, das wie im Vorjahr alles verspielt hatte.

Während der Jubelfeiern durfte jeder dann mal die Stars herzen und überschwänglich feiern. Friede, Freude Eierkuchen, eigentlich alles wie im letzten Jahr. Übrigens für die, die es interessiert. Den Weg nach Hause haben wir dann problemlos gefunden, auch wenn wir in einem überfüllten Zug die ganze Zeit über stehen mussten, aber wenigstens sind wir keinen orange-violetten Pfeifenköppen mehr über den Weg gelaufen, die hatten nämlich im Waldstadion von den Holländern die Hosen ausgezogen bekommen, und das fanden wir – mit einer Ausnahme – auch ganz gut so.

Auf ein Neues im nächsten Jahr.


Alexander Issing